Klassenraum als Bühne – „Klamms Krieg“

Am 18. Januar 2023 spielte der Schauspieler Markus Angenvorth „Klamms Krieg“, ein Einpersonenstück,

Am 18. Januar 2023 spielte der Schauspieler Markus Angenvorth „Klamms Krieg“, ein Einpersonenstück, von Kai Hensel verfasst (Uraufführung im Jahr 2000), für 44 Schülerinnen und Schüler der beiden Leistungskurse aus der Stufe 12, die von Vera Durben und Sven Stobbe unterrichtet werden. Eine besondere Art von Exkursion des Deutschunterrichts war das, denn das Theater kam zu uns, ans Lihi, in den Musiksaal, der als Bühne für das Stück fungierte.Gleichsam wurden die Schülerinnen und Schüler selbst zu Protagonisten des Stücks, indem sie plötzlich alsLeistungskurs des Lehrers Klamm diesem gegenübersaßen.

 

„Sascha war mein Lieblingsschüler. Er ist gestorben, weil mir das Abitur noch etwas bedeutet.“ – Diese schwer zu verkraftenden Worte äußert der Deutschlehrer Herr Klamm am Ende des Stückes. Sie rücken eindrücklich in den Horizont, wie ein grausames Opfer für einen Wert erbracht wurde, auf den Schüler wie Lehrer in der Oberstufe tagtäglich ziemlich unhinterfragt hinarbeiten: das Abitur.

Der Schauspieler Markus Angenvorth spielte, aufrüttelnd, bewegend, berührend, auch komisch bis amüsierend, die tragische Figur des Herrn Klamm, dessen Schüler Sascha sich das Leben nahm, weil Klamm ihm den einen Punkt zu wenig gegeben hatte, der aber zum Bestehen des Abiturs nötig gewesen wäre. Die Schüler Klamms entschließen sich dazu, ihrem Lehrer den Krieg zu erklären, indem sie ihn schweigend boykottieren. Was macht ein Lehrer aber im Angesicht von Schülern, die sich weigern, ihre, wie Klamm es nennt, „Lerntätigkeit“ aufzunehmen? Klamm kämpft gegen die Wandder Verweigerung und verzweifelt zusehends. Dabei zeigt der verletzte Lehrer unweigerlich seinen entwürdigenden Blick auf die Schüler, auf Kolleginnen und Kollegen, Abhängigkeit von der Autorität des Schulleiters Dr. Erkner, Alkoholismus („Dann kommt die Scheiße nicht so an einen ran“), Narzissmus („Ich bin verdammt nochmal der beste Deutschlehrer, den diese Schule je hatte“), Einzelkämpfertum. Die Stille im Saal verriet jedoch, dass hier noch mehr zum Vorschein kommt als nur professionelles Versagen und moralische Verfehlung: Das Publikum fühlte deutlich, wie hier einer seine Menschlichkeit offenbart. Wie jemand im System Schule unter die Räder gekommen und nun für seine Schüler zum Abschuss freigegeben ist. Während Klamm mit Schuld hadert, vor ihr wegläuft, sie eingesteht und doch wieder revidiert, fragt man sich auch als Zuschauender: Was trage ich zu dieser Situation bei?

Genau hier lag für die realen jungen Erwachsenen die Verbindung zum Hier und Jetzt unserer (schulischen) Realität – und das Theater schaffte es, Themen von unmittelbarer Relevanz in den Fokus zu rücken: Ist es wirklich ein Weg, jemanden im Sinne des Klamm-Kurses zu boykottieren? Gibt es Lieblingsschüler? Geht das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern über das reine Lernverhältnis hinaus? Sollte es das? Wie reden wir übereinander in der Schulgemeinschaft, wenn wir „unter uns“ sind? Geben wir uns genügend Wertschätzung oder liegen Bewertung und Abwertung in der Schule zu nahe beieinander? Achten wir aufeinander, damit in der Schule eben niemand unter die Räder kommt? Diese Fragen wurden und werden unter den Schülerinnen und Schülern bewegt und es gab Gelegenheit, innezuhalten und durchaus auch die eigene Rolle innerhalb der Schulgemeinschaft zu betrachten.

Theater kam uns, Lehrern wie Schülern, bemerkenswert nahe, trat etwas los, auch heute noch, auch und gerade unter jungen Menschen.

 

Der Deutschunterricht muss die Verbindung zwischen lebendiger Literatur und der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler immer wieder knüpfen. Das ist zu diesem Auftritt gelungen. Theater wurde in einer besonderen Dimension erfahrbar, auch durch das offene und einladende Gespräch, zu dem Markus Angenvorth im Anschluss an das Stück zur Verfügung stand. Ein echter Schauspieler erklärte etwa, wie es ihm gelingt, die abgründigen Emotionen aufkommen zu lassen und zu transportieren… Wir danken Markus Angenvorth für die besondere Begegnung und die professionelle Zusammenarbeit! Es sind kostbare Impulse gesetzt worden. Auch an den Förderverein geht ein herzliches Dankeschöndafür, die Veranstaltung finanziell zu unterstützen.

Geschrieben von Vera Durben